Quote:
Die Kolonialgeschichte prägt immer noch Ressourcentransfers, neokoloniale Herrschaftsstrukturen, Gläubiger-Schuldner-Beziehungen, Arbeitsmigration sowie die ‚Wahl‘ von Kriegsschauplätzen, denn Kriege finden meist in ehemaligen Kolonien und nicht in Europa oder den USA statt. Migration ist ein Phänomen, das deutlich macht, dass die Distanz zwischen einstiger Kolonie und Kolonialmacht nicht besonders groß ist. Denn aufgrund des historisch-kolonialen Kontextes kommen die Menschen nach Europa. Es ist eine Geschichte der Macht: Europa hat zwar keine Kolonien mehr, aber es gibt eine neokoloniale Ordnung, die ein integraler Bestandteil des globalen neoliberalen Kapitalismus ist.
Quelle:
Ranabir Samaddar (2017: 76).
Autor*inneninfo:
Prof. Ranabir Samaddar ist Direktor der Calcutta-Research-Group und forscht zu Migration und Flucht, zu Theorie und Praxis des Dialogs, Nationalismus und postkolonialer Staatlichkeit in Südasien sowie zu neuen Regimes von technologischer Umstrukturierung und Arbeitskontrolle.
Kontext:
Samaddar stellt sich hier eine in der aktuellen Debatte zentrale Frage: Wie kann man die historische und wie die globale Dimension von Migration erfassen? In welchem Zusammenhang steht die globale Aufteilung der Welt zu neokolonialen Abhängigkeitsverhältnissen? Bewegt sich Migration nur aus dem Globalen Süden in den Globalen Norden und drängt somit als Fluchtversuch vor den Effekten und Resultaten globaler Abhängigkeitsmuster die Realität der postkolonialen Ausbeutung und Unterdrückung vor das „weiße Auge“ Europas? Kriege finden meist im Globalen Süden statt. Armut, Hunger und Dürre sind hingegen nicht rein lokal-regional zu erklärende soziale Phänomen, sondern sie stehen im expliziten Verhältnis zu globalen kapitalistischen Zusammenhänge, deren Hegemonie nach wie vor vom Globalen Norden ausgeht. Die Kriege im Globalen Süden werden mit meist im Globalen Norden produzierten Waffen geführt. Die Schulden im Globalen Süden führen zu Profiten und ökonomischer Macht im Globalen Norden. Samaddars Position ist zentral in der Argumentation für eine globale Verantwortungsperspektive, die derzeit in den Migrationsdebatten wenig reflektiert wird.
Zum Weiterlesen:
*Ranabir Samaddar (2017): Die Krise des Kapitalismus bedeutet nicht das Ende des Kapitalismus. In: glokal e.V. (Hrsg.): Connecting the dots. Lernen aus Geschichte(n) von Unterdrückung und Widerstand, S. 72.
*Alberto Acosta (2017): Entwicklung ist eine Fata Morgana. Interview in der Zeitung Freitag.
Jahr:
2017